Vortrag
Revolution im Stall und Rumor in der Gesellschaft:
Zur Transformation landwirtschaftlicher Tierhaltung im 20. Jahrhundert
Die Geschichte landwirtschaftlicher Tierhaltung zeigt, was bei unappetitlichen Aufnahmen von dicht besetzten Ställen in Vergessenheit zu geraten droht: Die Massentierhaltung war keine Verschwörung dunkler Mächte, sondern eine zu ihrer Zeit plausible Entwicklung. Die Antworten auf folgende Fragen erklären die Entstehung der gegenwärtig umstrittenen Tierhaltung: Die Frage nach der Rolle der ungebrochenen Nachfrage nach den Zutaten des guten Lebens, nach saftigen Fleischstücken, reichlich Eiern und günstiger Butter; danach, warum immer weniger Menschen im Stall arbeiten wollten; warum sich die Industrialisierung der Tierhaltung in den Nachkriegsjahrzehnten mit so großer Geschwindigkeit durchsetzte, wo doch Agrarexperten schon seit den 1880er Jahren daran arbeiteten, die Tiere produktiver zu machen; warum die Ställe der DDR ähnliche Transformationen erlebten, obwohl dort kein freier Wettbewerb zu Effektivierung drängte; warum die Tiere aus den Dörfern verschwanden und sich ausgerechnet dann außerlandwirtschaftliche Kreise für das Geschehen im Stall zu interessieren begannen; und schließlich warum in der jüngsten Vergangenheit Ernährungsweisen, die auf Tiere verzichten, in weiten Kreisen beliebter wurden, obwohl vegetarische Vereine schon seit gut 150 Jahren fleischlose Ernährung propagieren.